Innovation trifft auf Fürsorge: Wie BioNTech und Fennec Pharmaceuticals die Krebstherapie neu definieren

Vor rund 570 Jahren revolutionierte Johannes Gutenberg von Mainz aus die Welt mit der Erfindung des Buchdrucks, was den Beginn der massenhaften Wissensverbreitung markierte. Heute, im 21. Jahrhundert, ist die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt erneut Ausgangspunkt einer globalen Veränderung. Hier entwickelte das bis dahin in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannte Unternehmen BioNTech den ersten zugelassenen mRNA-Impfstoff gegen COVID-19. Was als wissenschaftliche Vision eines Ehepaars begann, hat sich zu einer festen Größe in der pharmazeutischen Welt entwickelt.

Einen seltenen Einblick in diese Transformation gewährte das Unternehmen kürzlich einer kleinen Delegation der Wissenschaftspressekonferenz. Die Gründer Prof. Dr. Ugur Şahin, Prof. Dr. Özlem Türeci und Prof. Dr. Christoph Huber hatten das Unternehmen 2008 ursprünglich als forschungsgetriebenes Start-up etabliert. Ihr Fokus lag lange vor der Pandemie darauf, Boten-RNA (mRNA) für personalisierte Krebsimmuntherapien nutzbar zu machen. Der erfolgreiche Börsengang 2019, der rund 150 Millionen US-Dollar einbrachte, und die Partnerschaft mit Pfizer schufen schließlich das Fundament für das „Project Lightspeed“. Als sich Anfang 2020 die Pandemie abzeichnete, gelang es den Mainzern, in Rekordzeit einen wirksamen Impfstoff bereitzustellen, von dem bis heute etwa 4,8 Milliarden Dosen in über 180 Länder geliefert wurden.

Fokus Onkologie und neue Synergien

Inzwischen beschäftigt BioNTech weltweit rund 6.800 Mitarbeitende, davon allein 2.800 in der Forschung und Entwicklung. Trotz des globalen Erfolgs mit dem COVID-19-Vakzin bleibt die Onkologie das Herzstück der Firmenstrategie. Über die Hälfte der mehr als 30 aktuellen Produktkandidaten in der Pipeline zielt auf die Krebsbekämpfung ab. Interessanterweise deuten aktuelle, in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Daten darauf hin, dass die beiden Welten – Infektionsschutz und Krebstherapie – enger verknüpft sein könnten als gedacht: Eine mRNA-Impfung gegen SARS-CoV-2 scheint die Wirksamkeit bestimmter Immuntherapien gegen Tumore wie das nichtkleinzellige Lungenkarzinom oder Melanome steigern zu können.

Parallel dazu mahnen Experten wie Prof. Dr. Clara Lehmann vom Universitätsklinikum Köln zur Vorsicht im Umgang mit Atemwegserkrankungen. Analysen zeigen, dass insbesondere ältere Menschen und Risikogruppen weiterhin durch schwere COVID-19-Verläufe gefährdet sind. Dennoch ist eine gewisse Impfmüdigkeit zu beobachten; in der Saison 2023/24 nahmen nur 21 Prozent der über 60-Jährigen eine Auffrischimpfung gegen COVID-19 wahr. Dabei schützen diese Impfungen nicht nur vor akuten Infektionen, sondern potenziell auch vor kardiovaskulären Folgeschäden.

Schattenseiten etablierter Chemotherapien

Während BioNTech an den Therapien von morgen forscht, bleibt die klassische Chemotherapie, insbesondere mit dem Wirkstoff Cisplatin, ein unverzichtbarer Baustein der aktuellen Krebsmedizin. Cisplatin wird häufig bei soliden Tumoren im Kindes- und Jugendalter eingesetzt, darunter Neuroblastome oder Osteosarkome. Die Behandlung ist oft lebensrettend, fordert jedoch einen hohen Preis: Cisplatin ist ototoxisch. Es schädigt das Gehör irreversibel. Schätzungen zufolge erleiden 60 bis 90 Prozent der behandelten Kinder einen dauerhaften Hörverlust. Diese Nebenwirkung tritt oft schon nach wenigen Dosen auf und kann die soziale Entwicklung sowie die psychische Gesundheit der jungen Patienten ein Leben lang beeinträchtigen.

Lange Zeit standen Onkologen vor einem Dilemma: Entweder sie reduzierten die Dosis und riskierten den Behandlungserfolg gegen den Krebs, oder sie nahmen den Hörverlust ihrer Patienten in Kauf. Genau in diese Versorgungslücke stößt das US-Unternehmen Fennec Pharmaceuticals mit seinem Präparat Pedmark (in Europa unter dem Namen Pedmarqsi bekannt).

Ein Durchbruch in der supportiven Krebstherapie

Fennec Pharmaceuticals, ursprünglich 1996 gegründet und später neu ausgerichtet, hat sich auf die supportive Onkologie spezialisiert. Mit Pedmark hat das Unternehmen das erste und einzige von der FDA zugelassene Medikament entwickelt, das das Risiko eines cisplatin-induzierten Hörverlusts bei pädiatrischen Patienten ab einem Monat signifikant senkt. Es handelt sich um eine Natriumthiosulfat-Injektion, die, wie Studien belegen, das Gehör schützen kann, ohne die tumorbekämpfende Wirkung der Chemotherapie zu beeinträchtigen.

Die klinischen Daten sind vielversprechend: Das Medikament kann den Hörverlust um rund 50 Prozent reduzieren. Für das Unternehmen bedeutet dies eine enorme Chance, da es in diesem Segment bislang keine direkten Konkurrenten gibt. Das Management arbeitet daran, das Präparat als Standardbehandlung zu etablieren, um künftig bei jeder Cisplatin-Gabe automatisch das Gehör der Kinder zu schützen.

Zukunftsperspektiven und Markterweiterung

Der Blick richtet sich nun auf die Expansion. Fennec strebt an, den Einsatzbereich seines Wirkstoffs auszuweiten, etwa auf metastasierende Tumore oder die Behandlung von jungen Erwachsenen. Besonders interessant ist der japanische Markt, wo eine von Forschern initiierte Studie den primären Endpunkt bereits erreicht hat und eine signifikante Reduktion von Hörschäden nachwies. Auf Basis dieser Daten plant Fennec, auch in Japan die Zulassung zu beantragen.

Die Geschichten von BioNTech und Fennec Pharmaceuticals verdeutlichen die zwei Stoßrichtungen der modernen Medizin: Auf der einen Seite die aggressive Bekämpfung der Krankheit durch High-Tech-Innovationen wie mRNA, auf der anderen Seite die ebenso wichtige Weiterentwicklung der supportiven Pflege, um die Lebensqualität der Überlebenden zu sichern. Beide Ansätze sind notwendig, um den Kampf gegen den Krebs nicht nur zu gewinnen, sondern auch ein lebenswertes Leben danach zu ermöglichen.